Früher war alles besser. Oder auch nicht.

Andreas B. Krueger

A film critic of Woody Allen's "Midnight in Paris"

Barcelona, London, New York, und jetzt Paris: Woody Allens alljährliche Heimkehr ins Kino stellt sich einmal mehr den wichtigen Fragen des Lebens, ein eleganter und glatter Cast inbegriffen. Funktioniert die anvisierte Heirat zwischen der jungen, reichen und pseudo-emanzipierten Frau aus besserem Hause mit dem (fast) verhinderten Romanautor? Wird letzterer sein Buch zu Ende schreiben können? Und war früher tatsächlich alles besser, als man in der Stadt der Lichter und der Liebe einfach rufen musste: „Garçon, eine Flasche Rotwein!“? In heutigen Zeiten ist das schwieriger geworden, da müssen Weinbaugebiet und Rebsorte zumindest buchstabiert werden können und auch die Anrede des Kellners als Garçon ist eher verpönt. All das stört Woody Allen wenig, wenn er die recht banale Geschichte eines amerikanischen Mittdreißiger-Paares samt Schwiegereltern in spe in ein sanft säuselndes, pastelliges Paris einbettet. Wären da nicht die allnächtlichen Zeitreisen des Protagonisten Gil.

 

Der Mitternachtsglocke läutet vom Turm, ein alter Peugeot schiebt sich durch die verlassenen Gässchen von Montmartre und lädt ein, um Scott & Zelda Fitzgerald nebst Cole Parker, Hemingway, Picasso und Gertrude Stein, Toulouse-Lautrec, Gauguin und T.S. Eliot und ein halbes Dutzend mehr Künstler-Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger elegant in die Handlung zu integrieren. Das wirkt manchmal beklemmend ungelenk und konstruiert, an anderen Momenten durchaus komisch, wenn Unglaubwürdigkeit zu Absurdität mutiert. Woody Allen stochert mit amüsantem Duktus und luftigem Ton in der zugänglichsten Schublade französischer und amerikanischer Hochkultur zwischen Literatur, Musik und bildender Kunst der 1920er und 1890er Jahre. Ermüdend nur, dass die Hauptfigur vor lauter Staunen und Ehrfurcht kaum den Unterkiefer zu schließen vermag und die Dialoge manches Mal nicht mehr als dahinplätschern. Der an treffsicheren Woody-Allen-Humor gewöhnte Zuschauer muss erst auf den Auftritt Salvador Dalís warten, der mit todernster Miene und rotweinleuchtenden Augen darlegt, dass an einer Zeitreise gar nichts so seltsames sei. Ob Belle Epoque oder Roaring Twenties, Allen lässt seine Figuren zwischen den Epochen taumeln, es stellt sich das Thema der ewigen Suche nach der guten alten Zeit und ob es nun gut ist, oder nicht, die Vergangenheit zu verklären. Nur schade, dass das Sujet so explizit serviert wird und etwas schwarz-weiß-malerisch abgehandelt wird, aber es ist ja nicht so, dass Subtilität schon immer Woddy Allens Stärke war. Werfen wir es ihm nicht allzu heftig vor.

 

Seine Großstadtfilme haben nicht nur thematisch in den letzten Jahren einen leicht verstörenden Stapel an Konventionen angehäuft. Vicky Christina Barcelona erfrischte noch mit pointiertem Schauspiel und einem gelungenen Rhythmus, Whatever Works mit scharfzüngig zynischen Dialogen, der letztjährige You'll meet a tall dark stranger hingegen erstarrte im selbstgestrickten Raster von weichgespülten Farben, geschmeidigen Kamerabewegungen und den immer gleichen Figurenkonstellationen. Midnight in Paris bewegt sich auf halbem Weg dazwischen. Immerhin fehlt in dieser Episode die Figur eines alternden Herrn auf der Suche nach einer jungen Liebschaft, aber intrigante Schwiegereltern und mehr oder weniger großbürgerliche Frage nach der Auswahl des richtigen Verlobungsringes klingen jedoch allzu bekannt. Die Komik des Plots wird von manch abgehalftertem Scherz vorangetrieben, und visuell ruft die bilderbuchhafte Illustration eines arg postkartentauglichen Paris' auch nicht mehr als ein Schulterzucken hervor. Es bleibt ein amerikanischer, touristischer Blick – Restaurants, Hotels, Boutiquen, Flohmärkte – den auch ein Woody Allen schon eleganter gemeistert hat. Dennoch, fair bleiben: Es ist es nicht so schwer zu ertragen wie Jean-Pierre Jeunets versüßlichtes Paris einer Amelie. Allens Umgang mit Klischees und Überzeichnungen von im Grunde einfachen menschlichen Problemen schafft durchaus den Sprung zur Karikatur. Es gibt die sarkastischen Momente, in denen man sich ein für die Figuren ein wenig fremdschämen darf, gleichzeitig Schadenfreude unterdrücken muss und das Grinsen erst nach wenigen Sekunden vom Gesicht weicht. Das versöhnt dann auch mit den vielen, allzu glatten Momenten dieses Films.

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