Jean-Luc Godard: Film socialisme

Andreas B. Krueger

Vom Buch zum Film zum Buch – Eine Kritik

Man muss neidlos anerkennen, dass Jean-Luc Godards Arbeit auch noch im hohen Alter polarisiert. Seine Filme mag man als elitär oder wegweisend, prätentiös oder schlicht kryptisch bezeichnen; Godard tut mit dem gleichlautenden Buch zu seinem letzten Film Socialisme (Frankreich, 2010) genau das, was er schon oft tat: Einen ohnehin schon schwer greifbaren Film nicht nur als Drehbuch à posteriori zu publizieren, sondern in die Buchform zu transformieren. Nahezu unmöglich, sowohl Film als auch Buch in einem Satz zusammenzufassen. Klar, da ist der Text des Films und da sind einige Bilder. Dazu kommen einige Projektnotizen. Aber bei Godard ergeben 1+1 nie 2. Er selbst verwendet die recht unscharfe Metapher der „Symphonie in drei Sätzen“ für den Film Socialisme.

 

Betrachtet man Ästhetik und Entstehungskontext, sind seine Projekte seit Beginn der 1980er Jahre immer hermetischer geworden. Das bei diaphanes erschienene Buch führt diese Linie fort. Es ist keine Ergänzung, sondern eine Opposition zum Film. Wehe dem, der Erklärungen sucht. Godard arbeitet mit dem Rhythmus der Sprache und mit der Struktur des Buchs gegen den Rhythmus seiner filmischen Montage: Es ist ein Kampf zwischen gesprochener und geschriebener Sprache und seinen Bildern. Film Socialisme ist kein Drehbuch, sondern nähert sich durch fehlende Interpunktion oder unübersetzte Passagen oft auch anderen Literaturgattungen und Rezeptionsformen. So wie sich seine Filme einer Kategorisierung entziehen, so sind auch seine Publikationen oft frei flottierende Gebilde mit verbaler Verwandtschaft zum vorangegangenen Film. Die Arbeit liegt beim Leser.

 

Man weiß, Godard kommt vom Wort. Über Jahre hinweg hat er nicht nur Filme gemacht, sondern seine Projekte auch verschriftlicht. Ein Film war für ihn nie ein autarkes Objekt, sondern wurde immer durch Sprache erweitert und kontextualisiert. Godard liebt es, über vergangene, vollendete und nie realisierte Vorhaben zu schreiben. Großprojekte wie die Histoire(s) du cinéma (1988 – 1998) sind ohne die begleitenden, etliche hunderte Seiten und unzählige Videostills umfassenden Publikationen nur halb zu fassen. Die Beschäftigung mit seinen Themen verlangt nach mehreren medialen Formen. Godards Umgang mit Fragen zu Geschichte und Schuld kann so zwar durchaus pädagogisch-belehrend wirken, wer sich jedoch seiner Methode offen nähert, erhält die Chance, seine filmische Arbeit nicht nur auf Leinwand oder Screen begrenzt zu betrachten, sondern vom Film zum Buch und wieder zurück zu denken.

 

diaphanes broschur, Zürich 2011, 112 Seiten

ISBN 978-3-03734-159-9
(Published in Schnitt #065, 2012)

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