Analog

suzieq

"Was meinen Sie mit analog?", fragte die freundliche junge Frau bei der Swisscom, als ich ihr während unseres Telefongesprächs (es ging um die Umstellung meines Telefonanschlusses auf IP) mitteilte, ich wäre der analoge Typ.

In diesem Moment meinte ich eine Technik, bei der Signale durch Kabel übertragen werden und nicht durch Bits. Ich meinte eine Technik, bei der man ein Kabel anschliesst und davon ausgehen kann, dass es dann funktioniert. Bei der man, wenn es dann doch nicht geht, ein Kabel oder ein anderes schadhaftes Teil auswechseln oder reparieren kann. In meiner (vielleicht naiven) Vorstellung eine fassbare Technik, die man mit etwas Anstrengung und Willen begreifen kann. Wo man nichts programmieren muss und nicht von einem Server abhängig ist. Und vor allem wo es noch ohne Internet funktioniert.

 

Hinterher wurde mir klar, dass das Wort "analog" viel mehr bedeutet – nämlich eine Art Lebenseinstellung oder Weltanschauung, oder zumindest ein paar wehmütige Gedanken an eine andere Zeit.

 

Es bedeutet, dass Arbeitsprozesse und andere Handlungen mit der Geschwindigkeit stattfinden, die der menschliche Körper zulässt. Bei manchen vielleicht etwas schneller und bei anderen langsamer – aber doch in einem menschlichen Tempo. Es bedeutet auch, dass die Strecke zwischen Wohnung, Arbeit und Freizeit in relativ kurzer Zeit (wenn nötig mehrmals pro Tag) zu Fuss, mit dem Velo oder mit dem Bus zurückgelegt werden kann.

Die Begriffe "Schnelllebigkeit" und "Cybergeschwindigkeit" gibt es noch nicht.

Kommunikation bedeutet, tagelang auf einen Brief zu warten und die permanente Erreichbarkeit durch den Anrufbeantworter zu Hause sicherzustellen. Kommunikation heisst auch, in nach kaltem Rauch riechenden Telefonzellen dünne Pergamentseiten in schweren Telefonbüchern durchzublättern und zu hoffen, dass das Kleingeld im Portemonnaie reicht.

Chatten ist nur mit echten Anwesenden möglich.

 

Wenn man etwas nachschlagen möchte, geht man in eine Bibliothek anstatt schnell etwas "herunterzuladen". Und wenn man nicht sofort dazu kommt, dann macht man es eben am nächsten oder am übernächsten Tag. Denn man muss nicht alles sofort haben – man kann noch warten. Das macht nichts, alle müssen warten – vor dem Fahrkartenschalter am Bahnhof, vor der Telefonzelle, vor der Buchausleihstelle. Der Weg dorthin und die Wartezeit gehören dazu und stellen keinen Zeitverlust dar.

 

Um ein Elektrogerät zu kaufen, geht man in mehrere Fachgeschäfte, bis man das passende Modell gefunden hat. Man wartet einige Tage oder gar Wochen, bis es geliefert und fachgerecht installiert wird.

Das Wort "Online-" oder "Home-Shopping" gibt es noch nicht. Lieferung am selben Tag ebenfalls nicht.

 

Wenn man eine Arbeit erledigen muss, bekommt man dafür einen Zeitrahmen zugeteilt, der ausreicht. Es wird Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und gute Qualität erwartet. Man wird kritisiert, weil man schlampig gearbeitet hat und nicht in erster Linie, weil man nicht schnell genug war.

Qualität ist noch wichtiger als viel, schnell und billig.

 

Wenn man handelt oder etwas entscheidet, macht man sich vorher Gedanken darüber. Je umfangreicher und weitreichender diese Handlungen sind und je mehr Menschen sie betreffen, desto sorgfältiger überdenkt man sie. Man versucht, etwas Dauerhaftes, Solides auf die Beine zu stellen, von dem möglichst viele profitieren.

Man fühlt sich verpflichtet, das, was man sagt, auch zu tun.

"Mit einem Klick ist alles weg" gibt es noch nicht.

 

Liebe Frau von der Swisscom (ich vermute, Sie sind etwa halb so alt wie ich): Genügt Ihnen dies als Antwort?

Signaler ce texte