Wöschplan

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Es gibt ihn in jedem Wohnblock der städtischen Agglomeration – überall dort, wo sich mehrere Parteien gezwungenermassen eine Waschmaschine teilen – den Schrecken aller ehrbaren Mieter und die Freude der missachteten Hauswartschaft: den "Wöschplan".


Wie viele gute nachbarschaftliche Beziehungen sind nicht daran zerbrochen, und wie viele Feindschaften daraus entstanden. Bringt er doch bei jedem noch so freundlich gesinnten Menschen das Böse zum Vorschein, und macht er doch auch die gutmütigste Seele zur Bestie.

Warum, fragt man vielleicht, erweckt ein so liebliches, heimelig anmutendes Wort derartigen Abscheu?

 

Für diejenigen, denen das Leben in Schweizer Mietshäusern fremd ist, bedarf es wohl einer Erklärung.

 

Zum einen entsteht so ein "Wöschplan" nicht von allein. Erstellt wird er von einer Haus- oder Abwartin, die für die Reinigung des Wohnblocks und kleinere Instandsetzungsarbeiten wie Glühlampenwechsel zuständig ist. Von der Hausverwaltung zu diesem Zweck in ihr Amt eingesetzt, sieht sie jedoch Ihre Hauptaufgabe in der Überwachung der "Wöschchuchi". Die Erfüllung dieser anstrengenden Pflicht erhebt sie in den Adelsstand unter den Mietern. Mit fleissigem Eifer kontrolliert sie mehrmals am Tag, wer sich für welche Zeit im "flexiblen Wöschplan" eingetragen hat. Ihr Lebenswerk, und ihr ganzer Stolz ist der "fixe Wöschplan". Hier schreibt sie jedem Mieter einen von ihr bestimmten "Wöschtag" vor. Mit Wonne im Herzen malt sie ein Fragezeichen hinter den Namen des Fehlbaren, wenn ein Konflikt entsteht zwischen flexiblem und fixem "Wöschtag".

 

Kommt jemand trotz mehrerer Fragezeichen nicht seiner Pflicht nach, sich an die vorgeschrieben Zeiten zu halten (zum Beispiel weil er zum Zweck des Broterwerbs tagsüber ausser Haus weilt), so wird er in der "Wöschchuchi" zur Rede gestellt und aufs Übelste bedroht und beschimpft. Zur Kategorie dieser Opfer gehören hauptsächlich Männer, Ausländerinnen und berufstätige Frauen, die nichts von fixen "Wöschtagen" halten.

 

Schafft es jedoch eine teilzeit-beschäftigte Frau, die Gunst der "Wöschplan"-Erstellerin zu gewinnen, so wird ihr mit freundlicher Geste die Benutzung der "Wöschchuchi" zu jedem Zeitpunkt gestattet – sogar an den "Wöschtagen" des geplagten, zu hundert Prozent ausser Haus arbeitenden Mieters. Es ist eine Freude zu sehen, wie sich das sonst so griesgrämige Gesicht der Abwartin plötzlich aufhellt, und wie sich die "Wöschchuchi" füllt mit dem fröhlichen Lachen der "Wöschwyber".

 

Doch leider verschwindet diese schöne Schweizer Tradition immer mehr. In neueren Mietshäusern steht bald in jeder Wohnung ein Waschturm. Immer mehr Menschen streben nach Eigentumswohnung und Häuschen, und jeder Wohneigentümer verfügt über den eigenen Waschturm.

 

Die Gemeinschafts-"Wöschchuchi" gibt es bald nur noch in älteren Mietshäusern. Die Tradition des "Wöschplans" mit fixem "Wöschtag" wird hochgehalten von einer Handvoll aufrechter Abwartinnen, die ihr Land lieben und Tag für Tag in den Kampf ziehen, um jegliche Art von Erneuerung zu verhindern. Seit Jahrzehnten in ihrem Block wohnhaft, sorgen sie dafür, dass alles so bleibt wie damals, kurz nach dem letzten Krieg. Ihre Opferbereitschaft ist beispiellos – nehmen sie doch in Kauf, dass sie kaum einer mag.

 

Da ihre Zahl konstant abnimmt und auch ihnen kein ewiges Leben bestimmt ist (auch wenn es manchem geplagtem Mieter so vorkommt), beantrage ich, den "Wöschplan" vor dem Untergang zu retten und in die Liste der Weltkulturerbe aufzunehmen.

 

Asylbewerber und einbürgerungswillige Ausländer, egal welcher Nation, sollten als erstes Gebot lernen: "Du sollst den `Wöschplan' heiligen.

Und das zweite Gebot müsste lauten: "Du sollst keinen anderen `Wöschtag' haben als den, welchen ich Dir zuteile, auf dass es Dir lange erlaubt sei zu `wöschen' in der `Wöschchuchi' Deiner Abwartin, die Dir so gnädig Zutritt gewährt hat".

 

 

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