Appseits von Eden
suzieq
"Es gibt eine neue App der SBB, die über Verspätungen informiert" –
so stand es kürzlich in meiner Zeitung geschrieben.
Es gibt auch eine App, die vorhersagt, wie das Wetter in der nächsten Stunde sein wird.
Und es gibt eine App, die anzeigt, wo es sich auf den Strassen gerade staut.
Dumm steht man da, wenn man bei schönstem Wetter den Schirm dabei hat (oder bei Regen ohne Schirm da steht), nur weil man der Wettervorhersage der Zeitung gefolgt ist.
Naiv ist man, wenn man einfach so losfährt und sich dann ärgert, wenn man im Stau steht.
Selber schuld ist man, wenn man pünktlich zur Abfahrtszeit auf dem Bahnsteig steht und feststellt, dass man noch gut im Büro oder zu Hause sitzen könnte.
Sicher – die Vorteile dieser Apps sind einleuchtend, und wer kein Smartphone besitzt, den bestraft das Leben.
Aber ist es denn wirklich gut, wenn Pannen und Zwischenfälle vorhersehbar sind und möglichst viel kontrolliert wird?
Sind es nicht Wartezeiten, die uns vor die Herausforderung der Langeweile stellen? Die uns dazu zwingen, ungeplant Zeit mit uns selbst und unseren Gedanken (möglicherweise auch mit Problemen und Ängsten) zu verbringen? Helfen sie uns nicht manchmal, auf eine zündende Idee zu kommen und in eine andere Richtung zu denken?
Es ist das Unerwartete, das uns zur Improvisation zwingt und uns lehrt, spontan und flexibel zu bleiben.
Ein Ereignis, das uns ungeplant aufhält, trainiert unsere Nervenstärke und unsere Geduld.
Sicher – der Grossteil der Menschheit meistert diese Situationen souverän dank des Smartphones. Nur wer kein Smartphone hat, muss sich selbst bemühen.
Alles unter Kontrolle haben
Nichts dem Zufall überlassen
Immer und überall über alles informiert sein
Permanent vernetzt sein
Könnte es sein, dass dieser Wunsch das Resultat einer Zeit ist, wo wir uns überrollt fühlen von den Ereignissen und zusehen müssen, wie Dinge geschehen, die man als Wahnsinn bezeichnen müsste? Wo es scheint, dass die Mächtigen in Politik und Wirtschaft hilflos bemüht sind, nach dem bisherigen Schema weiterzumachen, während alles entgleitet?
Wo man das Gefühl hat, dass sich die Ereignisse verselbständigt haben und, von niemandem mehr kontrollierbar, in eine ungewisse Richtung rasen – einem Strohfeuer gleich, das sich fortschreitend zu einem Feuerball entwickelt, der mit unseren Mitteln nicht mehr gelöscht werden kann? Wo die Wahl zwischen zwei Alternativen oft die des kleineren Übels ist, oder schlimmer noch: wo die Alternative gestrichen wird, ob wir es wollen oder nicht?
Sicher – eine geniale App, oder ein neues Spiel kann darüber hinwegtrösten – nur wer kein Smartphone hat, begreift die Welt nicht mehr.
Bedeutet das Wunderding mit dem kleinen Bildschirm vielleicht auch: "In meiner Welt läuft alles gut. Ich habe alles im Griff"?
Ach, die guten alten Zeiten, als der Mensch ein Mensch und kein Roboter war! Wenn die Zeit noch zu uns Gehörte. Ich mag deine Worte. FREIHEIT!
· Il y a environ 8 ans ·peter-oroy